
Obschon die Große Sinnende für Lehmbrucks Frauengestalten aufgrund der auf den Rücken genommenen Arme und der daraus resultierenden aufrechten Haltung eine ungewöhnliche Offenheit signalisiert, baut sie doch allein aufgrund des übergroßen Formates Distanz zum Betrachter auf. Die geöffneten, in die Ferne schauenden Augen vermitteln durch das gesenkte Haupt Nachdenklichkeit, aber auch Schuld und Scham.
In Paris entstand Wilhelm Lehmbrucks überlebensgroße, freistehende weibliche Aktfigur mit der Benennung Große Sinnende, die im Werk des Künstlers und als Darstellung der Frau die letzte ganzfigurige Gestaltfindung sein sollte. Über einem flachen, beinahe quadratischen Sockel steht, die Füße unter leichter Differenzierung von Stand- und Spielbein eng beieinander, die Figur einer jungen Frau, die ihr Haupt leicht nach rechts neigt. Die stark tektonisch begriffenen Gliedmaßen beziehungsweise Körperteile erinnern an kubistische Konstruktionen. Die Gipsfassung wird seitlich hinter dem Spielbein von einem bis knapp unterhalb der Kniekehlenhöhe reichenden Pfosten gestützt, der in der Bronzefassung materialbedingt entfällt. Ihren linken Arm hält sie angewinkelt hinter dem Rücken, und die Hand liegt in der Armbeuge ihres herabhängenden, leicht nach hinten gedrehten rechten Armes mit entspannt geöffneter, herabhängender Hand. Die seitliche Neigung des Kopfes nimmt das durch Stand- und Spielbein sowie die leichte Körperdrehung vorgegebene aufsteigende Moment wieder zurück. Die in ihrem Aufbau spröde erscheinende Gestalt erhält ihre kompositorischen Spannungsmomente ausschließlich durch die differenzierte Beinhaltung sowie das den Körper »rahmende« Motiv ihres rechtwinklig gegebenen linken und des gerade abschließenden rechten Armes.
Sammlung: Lehmbruck Museum Duisburg
Text: museumsplattform nrw Wuppertal / K. L.
Foto: Joachim Dudek